Interview mit Martin Sonneborn, “Die PARTEI”-Vorsitzender: “Die Verteilung des Reichtums hat einen Zustand erreicht, den wir aus vorrevolutionären Zeiten kennen”

Interview

Sozialstaat und Rentensituation standen in den letzten Monaten zunehmend im Mittelpunkt unterschiedlicher Nachrichtenmeldungen. Schon jetzt gilt das Thema Rente als relevantes Wahlkampfthema bei den Bundestagswahlen 2017. Grund genug für unsere Redaktion führende gesellschaftliche Repräsentanten in einer Interviewreihe nach Inhalten und Standpunkten zu befragen. Als “Die PARTEI”-Vorsitzender ist Martin Sonneborn heute unser Interviewpartner.

SonnebornDie ParteiZur Person:
Seit 2014 ist der Journalist, Politiker und Künstler Martin Sonneborn Mitglied des Europäischen Parlements, wo er für Die PARTEI die Wählerinteressen bemerkenswert unorthodox vertritt. Zuvor war der studierte Publizist und Politikwissenschaftler jahrelang Chefredakteur beim Satiremagazin TITANIC und Redakteur bei SPIEGEL ONLINE.

Infomagazin Seniorenbedarf: Lieber Herr Sonneborn, wir erhalten nahezu täglich Zuschriften und Kommentare von Bürgern, die mit dem deutschen Rentensystem in seiner jetzigen Form ziemlich unzufrieden sind. Kann man hier von berechtigtem Unmut sprechen oder fehlt es den Leuten eher an Informationen und Vergleichswerten? So schlecht schneidet unserer Sozialstaat im internationalen Vergleich doch gar nicht ab?!

Sonneborn: Solange die Zuschriften nicht von Rechtschreibfehlern wimmeln, würde ich sie ignorieren. Dann sind sie nämlich von Rentnern, und die meisten von ihnen dürfen sich nicht beklagen. Für die Ärmeren sorgen wir: Studenten haben wir für den Fall der Machtübernahme monatlich „1.000 Euro plus Miete“ versprochen – Rentner bekommen einheitlich 1.000 Euro plus Miete und TV-Gebühren.

Infomagazin Seniorenbedarf: Ist das System zur Rentenberechnung der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren in Anbetracht des demografischen Wandels und steigendem Renteneintrittsalter denn überhaupt noch sinnvoll? Nach pessimistischen Schätzungen wird schon Mitte dieses Jahrhunderts ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner aufkommen müssen.

Sonneborn: Nein. Wir haben da zufällig ein alternatives Konzept erarbeitet. Zur Bundestagswahl hatten wir ein in der Presse etwas umstrittenes Wahlversprechen: „Wenn Sie uns wählen, lassen wir die 100 reichsten Deutschen umnieten!“ Wir planen, das Vermögen der 100 reichsten Deutschen in das laufende Finanzierungsverfahren einzubringen.

Infomagazin Seniorenbedarf: In Deutschland wird in letzter Zeit viel von den „drei Säulen der Altersvorsorge“ gesprochen. Insbesondere liberal orientierte Parteien setzen neben gesetzlicher und betrieblicher Rente auf eigenverantwortliche Privatvorsorge. Ist das die Zukunft? Hat uns die Bankenkrise nicht mal wieder gezeigt, wie suizidgefährdet Geld ist, welches von Privatunternehmen gemanagt wird?

Sonneborn: Die Bankenkrise hat auf jeden Fall gezeigt, dass es Unmengen an flotierendem Buchgeld gibt. Auch das kann zur Rentenfinanzierung eingesetzt werden. Der Staat sollte auf jeden Fall wieder eine stärkere soziale Verantwortung für die Schwächeren in der Gesellschaft übernehmen. Und das sind die Rentner. Die Rentner von morgen. Erwähnte ich schon, dass wir überwiegend von Jüngeren gewählt werden?

Infomagazin Seniorenbedarf: Ist es nicht irgendwie skurril, dass in Berlin hauptsächlich Beamte über die gesetzliche Rente beratschlagen und entscheiden?

Sonneborn: Nein, das ist normal, das kennen wir hier in Brüssel auch sehr gut. Hier entwirft eine neue semifeudale Klasse von Besserverdienenden die Gesetze für ganz Europa.

Infomagazin Seniorenbedarf: In einem klassischen deutschen Haushalt ist nach wie vor der Ehemann Hauptverdiener. Erziehungszeiten kann sich die Ehefrau zwar anteilig für ihre spätere Rente anrechnen lassen. Aber nach den vielen Jahren ohne berufliche Praxis haben es viele Frauen irgendwann schwer, einen Job zu finden, der vergleichbare Privilegien und Einkünfte mit dem des Mannes verspricht – was natürlich ebenfalls Auswirkungen auf Rentenzahlungen nach Abzug der Sozialabgaben & Co hat. Wie lässt sich das verbessern? Müssen Kinder noch frühzeitiger in Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen? Sollten Mütter nicht lieber gleich auf das Stillen verzichten, um schnell wieder im Beruf einzusteigen und „der Wirtschaft optimal zu dienen“?

Sonneborn: Gleichberechtigung? Dafür hat nicht einmal Die PARTEI eine Lösung. Wir orientieren uns aus Bequemlichkeit eher am Weltbild der CDU-Kollegen, bei denen sich große süße Mäuse und dumme Kaninchen nach oben schlafen können.

Infomagazin Seniorenbedarf: Die sozialdemokratischen, ebnenden Wohlfahrtstaatssysteme in den skandinavischen Ländern werden oft mit der liberalen Marktorientierung der USA in den harten Vergleich gestellt. In welche Richtung wird sich Deutschland aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren orientieren, welches von den Politikwissenschaften aktuell mit „meritokratisch und statuskonservierend“ attributiert wird?

Sonneborn: Ich sehe die Dinge derzeit eher im europäischen Rahmen. Solange wir keinen Politikwechsel haben in Deutschland und im EU-Parlament, solange SPD und CDU hier weiter ihren wirtschafts- und vermögendenfreundlichen Kurs fahren, umschreibt „statuskonservierend“ die Verhältnisse noch sehr wohlwollend. Die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums hat statistisch gesehen einen Zustand erreicht, den wir historisch aus vorrevolutionären Zeiten kennen.

Infomagazin Seniorenbedarf: Was führt dazu, dass „Soziale Ungleichheit“ in Deutschland ein wachsendes und kein schrumpfendes Problem ist? Pokémon Go?

Sonneborn: Sigmar Gabriel. Und deswegen nicht Pokemon, sondern Gabriel Go! Wir brauchen wieder eine sozialdemokratische Partei, die sich für die schwächeren Teile der Gesellschaft verantwortlich zeigt.

Infomagazin Seniorenbedarf: Populisten sind dieser Tage schnell dabei, pauschal dem „Kapitalismus“ die Schuld für ökonomische und soziale Probleme zu geben. „Auch die ärgsten Feinde des Kapitalismus machen irgendwann Geschäfte mit ihm“, kontert Jan Willmroth in der Süddeutschen. Und ZEIT-Autor Armin Nassehi gibt zu bedenken: „Kapitalismuskritik arbeitet stets mit dem Glauben an die staatliche Regulierbarkeit ökonomischer Dynamiken“. Sollte man also aufhören den kapitalistischen Rahmen unseres Systems ständig zu hinterfragen und gefälligst zum Wachstum beitragen? Sie plädieren ja immerhin für eine Faulenquote!

Sonneborn: Der Kapitalismus ist ein aggressives System, das auch seine Kritiker frisst oder aufkauft. Wenn ich mir die Welt im Moment betrachte, habe ich nicht das Gefühl, dass es der Sozialismus ist, der als gescheitert gelten sollte.

Infomagazin Seniorenbedarf: Herr Sonneborn, warum wird es Zeit für noch viel mehr Regierungsbeteiligung seitens DER PARTEI?

Sonneborn: Weil wir von Kim Jong-Un gelernt haben, wie man Probleme löst. Ich bin in der EU-Delegation für die Beziehungen zur Halbinsel Korea, und Sie werden überrascht sein, was es da für Möglichkeiten gibt…

Infomagazin Seniorenbedarf: Sehr geehrter Herr Sonneborn, haben Sie vielen Dank für dieses Interview.

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Die Kommentare und Meinungen unserer Leser (Leserbriefe)

  1. Wahlomat kommentierte am 19. September 2017 at 14:13

    Wenn die Grünen weiterhin so blass und wenig kontrovers sich darstellen und Einfluss haben kann ich gleich “Die Partei” wählen.

  2. Mary kommentierte am 17. Januar 2017 at 13:45

    Was Herr Sonneborn den Rentnern zukommen lassen will und den Studenten, einheitlich ,ist eine sehr vernünftige und für alle zumutbarer Gedanke.
    Bin noch nicht lange in dieser Seite, aber diese Argumente auf all gestellten Fragen sind
    inhaltsreich und nachvollziehbar.
    Könnte sie mir als Regierungspartei gut vorstellen. Danke für ihr Gedankengut!
    Jetzt heisst es anpacken!

  3. fels kommentierte am 7. Oktober 2016 at 4:52

    Am Tag der Europawahl hat es ja wie aus Eimern geschüttet. Vor dem Wahllokal war ein Terrier angebunden, der Nässe schutzlos ausgeliefert. Ein bemitleidenswerter Anblick! Ich erinnerte mich an die Forderung “Der Partei” für mobile Hundehütten, die von sachverständigen Beamten bei Bedarf -also überall wo das Wetter nicht so gut ist – aufgestellt werden sollen.
    Ich gab “Der Partei” meine Stimme und fühle mich durch dieses Interview bestätigt: “Die Partei” hat ein Ohr für notwendige Probleme.

  4. wollump kommentierte am 6. Oktober 2016 at 14:44

    Der Leitantrag im diePARTEI-Grundsatzprogramm, wonach Thüringer Bratwürste zukünftig nur noch fleischfrei hergestellt werden dürfen, bedarf einer gründlichen Überarbeitung

  5. Die PARTEI OV Reinickendorf kommentierte am 6. Oktober 2016 at 7:08

    Nur mit uns, der Partei Die PARTEI, ist ein Leben in Saus und Braus möglich. Wir fordern die Verbeamtung aller Einwohner in Deutschland. So gibt es für jeden Menschen eine existenzsichernde Pension, mit unter schon nach einigen Monaten Verbeamtung. Hurraaa!

  6. HIlde43 kommentierte am 5. Oktober 2016 at 15:29

    Ich bin 73 Jahre alt und hoffe, daß ich einen Bundeskanzler Sonneberg noch miterleben darf. Er spricht sehr vernünftig.

  7. Anonymous kommentierte am 5. Oktober 2016 at 14:53

    Endlich mal eine seriöse Partei. Meine Stimme hat sie.

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