Interview mit den Bundeswahlbeauftragen für die Sozialwahlen 2023

Die Sozialwahlen rücken mit dem 31. Mai 2023 näher. Dabei ist der genaue Ablauf dieser Wahl für viele erklärungsbedürftig, weswegen wir uns mit einigen Fragen an Peter Weiß und Doris Barnett gewandt haben.

barnett-sozialwahlen2023Zu den Personen: Peter Weiß und Doris Barnett sind die Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen 2023. weiss-sozialwahlen2023Sie werden die Ende Mai stattfindenden Wahlen zu den Selbstverwaltungsgremien in der deutschen Sozialversicherung vorbereiten, begleiten und die ordnungsgemäße Durchführung überwachen. (Bilderquelle: BMAS).

1.) Redaktion: Werte Frau Barnett, werter Herr Weiß, im Mai 2023 kommt es zu den nächsten Sozialwahlen. Warum gibt es Wahlen in dieser Form und weswegen macht es Sinn, sich daran zu beteiligten?

Peter Weiß: Urwahlen gibt es nur bei einigen Sozialversicherungsträgern. Deshalb werden eine Reihe von Ihren Leserinnen und Lesern keine Wahlunterlagen erhalten. Der Gesetzgeber ist der Auffassung, dass sich Wahlen nur dort lohnen, wo unterschiedliche Vorschlagslisten im Wettbewerb miteinander stehen. Wo dies nicht der Fall ist, können die Konsenslisten in die Selbstverwaltungen einziehen.

Generell sind die Sozialwahlen reine Briefwahlen. Das ist deshalb der Fall, weil bereits vor Jahrzehnten viele Wählerinnen und Wähler nicht mehr bereit dazu waren, für die Sozialwahlen die betreffenden Wahllokale aufzusuchen. Diesmal kommt eine neue Komponente hinzu. Bei fünf Ersatzkassen wird ein Modellprojekt Online-Wahlen durchgeführt. Die Wählerinnen und Wähler können sich entscheiden, klassisch per Brief oder online abstimmen wollen. Wir alle glauben, dass „online“ in diese Zeit passt, weil viele Menschen ihre Geschäfte online erledigen. Wir glauben, dass die Online-Wahl ein Erfolg werden wird.

Dort wo gewählt wird, sollten sich die Wahlberechtigten unbedingt an der Wahl beteiligen. Schließlich geht es um ihre Vertreterinnen und Vertreter in den Organen der Selbstverwaltung. Mit der Beteiligung an der Wahl stärkt man die eigenen Interessen gegenüber der Verwaltung des Sozialversicherungsträgers und gegenüber der Politik.

2.) Redaktion: Wie arbeiten die zu wählenden Selbstverwaltungsgremien in der Praxis? Können Sie das den Leser*innen anhand von Beispielen illustrieren?

Doris Barnett: Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Wer kurz vor der Rente steht, wird sie sehr schätzen: Die etwa 2.600 ehrenamtlichen Rentenberaterinnen und Rentenberater. Diese sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt. Über die Homepage der Rentenversicherungsträger oder über die Geschäftsstellen kann man mit diesen Ehrenamtlichen in Kontakt treten und einen Termin vereinbaren. Sie prüfen die Rentenunterlagen, beraten im Sinne der Versicherten und bereiten die notwendige Antragstellung vor. Das Beratungsangebot umfasst den kompletten Katalog von der Altersrente über die Witwenrente bis zu den Reha-Leistungen. Und diese ehrenamtliche Leistung ist für die Hilfesuchenden kostenlos. Hunderttausende haben in den letzten Jahren dieses Beratungsangebot wahrgenommen. Diese Rentenberaterinnen und Rentenberater werden von den Vertreterversammlungen der Rentenversicherungen eingesetzt.

Viele Verwaltungsräte gesetzlicher Krankenkassen haben für Schwangere und junge Mütter Extraleistungen beschlossen.
Reiseschutzimpfungen sind keine Regelleistungen für Krankenversicherte. Weil die Kostenübernahme jedoch im Sinne der Versicherten ist, haben die Verwaltungsräte einiger Krankenkassen entschieden, die Kosten für diese Impfungen zu übernehmen.

Unter dem Strich kann man sagen, Gremien der Selbstverwaltung haben ihre Versicherten und deren Bedürfnisse im Blick und bemühen sich darum, die Leistungen ihrer Kranken- oder Rentenkasse entsprechend anzupassen.

3.) Redaktion: Was sind auch Ihrer Sicht die großen und bewegenden Themen, die in den Sozialversicherungen primär angegangen werden sollten? Was gehört Ihres Erachtens in ein gutes „Wahlprogramm“?

Peter Weiß: Natürlich können wir uns gut vorstellen, was in so ein Wahlprogramm hineingehört. Das können wir aber natürlich nicht verkünden, weil wir damit unsere Neutralitätspflicht verletzen würden. Es bestünde die Gefahr des Vorwurfs, wir würden bestimmte Vorschlagslisten bevorzugen.

4.) Redaktion: Neben den wählbaren Listen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ist es auch möglich, sogenannte „freie Listen“ zu gründen. Können Sie das näher erklären?

Doris Barnett: Neben den Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen können auch sonstige Arbeitnehmerorganisationen und „freie Listen“ antreten. Sonstige Arbeitnehmerorganisationen müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Dazu gehören zum Beispiel der Nachweis der Festigkeit, der Ernsthaftigkeit und der Dauerhaftigkeit dieser Organisationen. Erfüllen diese Organisationen alle notwendigen Bedingungen, können sie unter der Bezeichnung ihrer Organisation antreten. Organisationen, die dem betreffenden Gremium nicht angehören, müssen Unterstützerunterschriften sammeln, um zur Sozialwahl zugelassen zu werden.

Daneben gibt es „freie Listen“. Freie Listen können Organisationen sein, welche die Bedingungen einer sonstigen Arbeitnehmerorganisation nicht erfüllen oder Einzelpersonen, die sich zusammengefunden haben, um für den ins Auge gefassten Verwaltungsrat oder die ausgesuchte Vertreterversammlung zu kandidieren. Die „freien Listen“ haben die Erschwernis, dass sie grundsätzlich vor jeder Sozialwahl Unterstützerunterschriften sammeln müssen. Dies sind bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zum Beispiel 1.000 Unterschriften von Personen, die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ein Rentenkonto haben. Die Praxis zeigt, dass dies gar nicht so leicht ist.

5.) Redaktion: An den Sozialwahlen wird kritisiert, dass die Nominierung der Kandidat*innen und die Zusammensetzung der Listen für die Wählenden intransparent ist. Auch haben diese Wahlen einen vergleichsweise geringen Bekanntheitsgrad bei proportional großem Aufwand und hohen Kosten (59 Millionen Euro in 2017). Wie bewerten Sie diese Kritik?

Doris Barnett: Genau dieser Kritik wird doch begegnet. Der Gesetzgeber verpflichtet ab diesen Sozialwahlen die sogenannten Listenträger über die Listenaufstellung Niederschriften zu verfassen. Diese Niederschriften müssen gemeinsam mit den Vorschlagslisten in den Geschäftsstellen der Sozialversicherungsträger ausgelegt werden. Die Träger können sich dafür entscheiden, die Vorschlagslisten und die Niederschriften zusätzlich im Internet zu veröffentlichen. Dies ist zum Beispiel bei der Deutschen Rentenversicherung Bund der Fall. Diese neue Transparenz gilt auch für die Sozialversicherungsträger, die keine Wahl durchführen. In Sachen Transparenz haben wir durch rechtliche Verpflichtung doch wirklich einen großen Schritt nach vorne gemacht. Hinzu kommt, dass sich die Organisationen, die die Listen aufstellen bemühen, ihre Kandidatinnen und Kandidaten auch im Internet zu präsentieren.
59 Millionen Euro sind viel Geld. Aber wenn man sie auf 51 Millionen Wahlberechtigte aufteilt, dann halten sich die Kosten doch sehr in Grenzen. Das waren 2017 pro Wahlberechtigten weniger als 1,20 Euro. Bedenken Sie alleine schon die Portokosten für das Versenden und das Rücksenden der Wahlunterlagen. Hinzu kommen die Druckkosten und die Öffentlichkeitsarbeit für die Sozialwahlen. Das Senden der TV- und der Radio-Spots muss ebenfalls bezahlt werden. Demokratie kostet eben auch etwas. Teilen Sie diese Kosten auf 6 Jahre auf, dann sind das 20 Cent pro Jahr und Wahlberechtigten. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Kostenargument in den vergangenen Jahren in der gesellschaftlichen Diskussion um die Sozialwahlen praktisch nicht mehr auftaucht. Zu Recht!

6.) Redaktion: 2017 haben nur 30% der 51 Millionen Wahlberechtigten Ihre Stimme abgegeben. Was tun Sie, um eine höhere Wahlbeteiligung zu erzielen?

Peter Weiß: Ich finde, eine Wahlbeteiligung bei den Sozialwahlen von 30 Prozent sind durchaus respektabel. Wir dürfen Sozialwahlen nicht mit Bundestagswahlen vergleichen. Unsere Medien sind voll mit Politik – und sie sind leer, wenn es um Nachrichten aus den Selbstverwaltungen geht. Die Selbstverwaltungen haben kaum die Möglichkeit, die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Sie können sich nur über die jeweils eigenen Medien – das Kassenblättchen oder die Homepage des Sozialversicherungsträgers – an die potentiellen Wählerinnen und Wähler wenden.
Traditionell wird die Kampagne für die Sozialversicherungswahlen von der Deutschen Rentenversicherung Bund und den Ersatzkassen getragen. Wir beide bringen guten Ideen in die Kampagne ein und wollen viele Presse- und Medienauftritte absolvieren. Hinzu kommt, dass wir politische Schützenhilfe gewähren. So sind wir mit Nachdruck dabei, dafür zu sorgen, dass die Spots für die Sozialwahlwerbung auch bei ARD und ZDF ausgestrahlt werden.

7.) Redaktion: Zuletzt möchten wir Ihnen noch die Gelegenheit bieten, einige abschließende Worte zu formulieren.

Peter Weiß: Liebe Leserinnen und Leser des Magazins „Seniorenbedarf.info“, bitte nehmen Sie, falls Sie Mitglied eines wählenden Sozialversicherungsträgers sind, an den Sozialwahlen teil! Wir haben in Deutschland dieses tolle System. Unsere Sozialversicherungen sind keine staatlichen Verwaltungsbehörden. Unsere gesetzlichen Krankenkassen, Rentenversicherungen und auch die Unfallversicherungen haben einen selbstverwalteten Kern, der von ehrenamtlichen Selbstverwalterinnen und Selbstverwaltern gebildet wird. Diese sind selbst bei diesem Träger versichert oder Arbeitgeber der Versicherten. Stimmen Sie ab und stärken Sie damit Ihre Selbstverwaltung!

Doris Barnett: Liebe Leserinnen und Leser des Magazins „Seniorenbedarf.info“, ich schließe mich dem Appell von Peter Weiß an. Bitte wählen Sie! Sie müssen sich einmal vorstellen was es für die ehrenamtlichen Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter bedeutet, wenn Millionen von Wählerinnen und Wählern hinter ihnen stehen. 2017 waren es 15,5 Millionen. Unterstützen Sie Ihre Vertreterinnen und Vertreter in der Selbstverwaltung und zeigen Sie ihnen damit, dass Sie deren Engagement – immerhin in deren Freizeit – zu schätzen wissen! Es darf nicht sein, dass wir alles als selbstverständlich hinnehmen. Und der Aufwand für unsere Würdigung dieser Ehrenamtlichen ist gar nicht groß. Alle 6 Jahre den roten Umschlag in den Briefkasten stecken oder bei den 5 Ersatzkassen online abzustimmen, dass sollte uns das Engagement dieser Ehrenamtlichen Wert sein.

Redaktion: Werte Frau Barnett, werter Herr Weiß, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

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