Diskriminierung beim 49 EUR Ticket? Erste Erfahrungen einer Rentnerin

Deutschlandticket 49 Euro Ticket

Seit dem 01. Mai 2023 ist das lang erwartete Deutschlandticket buchbar. Zumindest für einen Großteil der Bevölkerung. Denn erste Beschwerdeschreiben erreichen unsere Redaktion, die sich über Unflexiblität und Diskriminierung bei der Buchung echauffieren. Tatsächlich scheint Menschen ohne Smartphone der Zugang zum Ticket verwehrt zu bleiben.

Ohne Smartphone kein Tarifabschluss

Als die Erwerbsunfähigkeitsrentnerin Lydia S. im DB Reisezentrum Hof Hbf vorstellig wird, um ein 49 Euro Ticket zu erwerben, wird sie von einer Information überrascht: In Papierform nicht möglich, der Erwerb eines Deutschlandticket setze ein internetfähiges Handy vorraus, erklärt ihr ein Mitarbeiter.

Darüber kann sie nur den Kopf schütteln, denn Lydia S. lebt ohne Handy. “Das ist eine Diskriminierung!”, sagt sie, denn viele Rentner und sonstige Personen in Deutschland würden ohne ein internetfähiges Handy leben – sei es aus finanziellen Gründen oder aus Gründen wie “Digital Detox” und Achtsamkeit. Nun bleibe der Erwerbsunfähigkeitsrentnerin nur der Kauf vergleichsweise teurer Tickets – was sie in ihrer Mobilität aufgrund der knappen Mittel zum monatlichen Lebenserhalt erheblich einschränke. Sie fühle sich ungleich behandelt und staatlich diskriminiert in ihrer persönlichen Entfaltung.

Deutschlandticket nur für den Mainstream?

Durch die Corona-Krise war es zur Etablierung eines 9-Euro-Tickets gekommen, was politisch den Weg zur Durchsetzung eines günstigen, landesweit gültigen Dauertickets geebnet hatte. Mit 49 Euro ist das Deutschlandticket im Preis zwar höher angesetzt, bietet aber dennoch gewaltiges Einsparpotential für beispielsweise Berufspendler. Es soll verstärkt dazu beitragen, dass die Deutschen ihr Auto stehenlassen.

Antwort einer Anfrage dazu an die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag

Mit dem digitalen Ticket gehen Bund und Länder neue Wege. Digital bedeutet dabei papierlos – ein Smartphone ist keine Nutzungsvoraussetzung. Neben auf dem Handy gespeicherten elektronischen Tickets gibt es das Ticket auch als Plastikkarte im Scheckkartenformat bei den örtlichen Verkehrsverbünden zu kaufen. Damit schaffen wir Strukturen, die wir in der Zukunft auf jeden Fall brauchen und die uns auch jetzt schon viele Vorteile bringen werden. Barrierefreiheit und Nutzbarkeit auch für diejenigen, die das Internet nicht nutzen oder kein Smartphone besitzen, verlieren wir dabei nicht aus den Augen.

Gerade auch im Verkehrsbereich können wir mit konsequenter Digitalisierung in den nächsten Jahren die Kapazitäten erhöhen. Im Schienenverkehr wird eine digitale Steuerungsmöglichkeit dazu beitragen, dass Züge dichter auf dem Gleisnetz unterwegs sein können und damit innerhalb der vorhandenen – dann aufgerüsteten – Infrastruktur mehr Verkehr bewegt werden kann und zudem beispielsweise besser Abfahrtsinformationen zur Verfügung gestellt werden können. Ein wichtiges Ziel dieses Tickets ist es unter anderem, dass es uns ermöglichen wird, durch die Gewinnung von (nicht-personenbezogenen) Verkehrsdaten mit optimalem Einsatz der verfügbaren Mittel das ÖPNV-Angebot mittelfristig zu verbessern – die Alternative wären aufwendige und teure analoge Verkehrszählungen. Damit stellen wir Investitionsentscheidungen auf eine solide Datengrundlage und entsprechen den Anforderungen an einen verantwortlichen Umgang mit Steuermitteln.

Demgegenüber erreichen wir durch den Bezug im Abonnement, dass sich nicht erneut zu Monatsbeginn lange Schlangen vor den Verkaufsstellen bilden und gewährleisten eine bessere Ausfinanzierung der Verkehrsdienstleistungen. Denn so ist es möglich, schon zu Einführungsbeginn annäherungsweise eine Aussage darüber zu treffen, ob die angebotenen Leistungen durch den Fahrscheinverkauf -hier insbesondere das Abo – hinlänglich grundfinanziert sein werden. Trotzdem kann natürlich im Monatsrhythmus gezahlt werden und die monatliche Kündigungsmöglichkeit bedeutet weiterhin hohe Flexibilität für die Nutzerinnen und Nutzer.

Antwort einer Anfrage dazu an die Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag

Wir bedanken uns herzlich für Ihre Anregungen zum 49-Euro-Ticket.

Für die Verkehrswende und den Klimaschutz ist ein starker und einfach zu nutzender ÖPNV ein wichtiger Baustein. Mit dem neuen bundesweiten Nahverkehrs-Ticket können Fahrgäste Busse und Bahnen in ganz Deutschland unkompliziert nur ein Ticket über alle Verbundgrenzen und Tarifgebiete hinweg nutzen. Für den ÖPNV in Deutschland bedeutet das einen Quantensprung, denn von den stark vergünstigten Preisen für Monats- und Jahrestickets profitieren die Menschen in Städten, Umlandgemeinden und auf dem Land. Insgesamt nehmen Bund und Länder jährlich 3 Milliarden Euro in die Hand, um das Deutschland-Ticket zu finanzieren. Das Ziel muss sein, es dauerhaft zu etablieren.

Welche Weiterentwicklungen in Sachen Vertrieb und einheitlicher Regelungen noch folgen, ist Thema unterschiedlicher Gespräche innerhalb der Ampel-Koalition.

Antwort einer Anfrage dazu an die Deutsche Bahn

Vielen Dank für Ihre E-Mail. Ihr Interesse am Deutschlandticket freut uns sehr. Umso mehr bedauern wir, dass Sie dennoch Anlass zur Kritik haben. Ein Großteil unserer Kunden erwerben Ihre Tickets über das Onlineprotal und dem DB Navigator. Die deutsche Bahn nimmt sich dieser Mehrheit an und stellt einige Produkte auch dementsprechend digital zur Verfügung.

Es ist uns bewusst, dass wir nicht jeden Kunden gerecht werden, dennoch wird das Deutschlandticket nur als digitales Produkt angeboten. Da das Deutschland-Ticket von den Aufgabenträgern Bund und Länder als digitales Abo-Angebot (Abo-sofort) vorgegeben ist, ist eine systemische Erstellung in DB-Agenturen nicht möglich. Aber auch viele andere Verkehrsunternehmen werden das Deutschlandticket in Ihren Verkaufskanälen anbieten und verkaufen. Versäumen möchten wir es nicht, Ihnen zu versichern, dass Ihre Anmerkungen nicht ungehört bleiben. Ferner erfassen wir alle Kritikpunkte gewissenhaft und stellen sie zur internen Auswertung den zuständigen Fachbereichen zur Verfügung. Als zentraler Ansprechpartner für alle Ihre Anliegen zum Thema Fernverkehr stehen wir auch künftig jederzeit gern wieder zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Kundendialog DB Fernverkehr AG

Antwort einer weiteren Anfrage an die Deutsche Bahn

Sehr geehrte Frau XXX,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 8. Mai an Herrn Dr. XXX. Wir wurden gebeten, Ihnen zu antworten. Es tut uns leid, dass Sie aktuell noch nicht von den Vorzügen des Deutschland-Tickets profitieren. Wir verstehen Ihre Unzufriedenheit.

Die von Ihnen aus nicht näher benannten Quellen zitierten Auskünfte über den Vertrieb des Deutschland-Tickets können wir nicht bestätigen. Bund und Länder haben beschlossen, dass das Deutschland-Ticket als digitales
Abonnement angeboten wird. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass unser Unternehmen diese Entscheidung respektiert und den Vertrieb entsprechend nur über unsere digitalen Vertriebskanäle, z.B. über bahn.de oder die App DB Navigator vornimmt. Auch die Beratung in unseren Reisezentren zielt letztlich auf den Abschluss eines digitalen Abonnements hin.

Sonderlösungen in Form papierner Fahrkarten werden wir nicht anbieten. Nur in jenen Verkehrsverbünden oder Landestarifen, wo bereits Chipkarten als Abonnement-Fahrkarten im Umlauf sind, ist der Kauf des Tickets als Chipkarte möglich. In dem in Ihrer Heimat gültigen Hochfrankentarif werden unseres Wissens nach keine Chipkarten ausgegeben – daher verweist die Webseite der Tarifgemeinschaft ebenfalls auf die digitalen Kanäle, konkret die App „Wohin·Du·Willst“:

Noch bis Ende 2023 ist es möglich, das über die App „Wohin·Du·Willst“ erstandene Deutschland-Ticket nachträglich monatsweise auszudrucken. Eine Anleitung dazu finden Sie hier: https://wohin-du-willst.de/wp-content/uploads/230424-Anleitung-Print@home-1.pdf

Sehr geehrte Frau XXX, wir bitten um Verständnis, dass die Konditionen, unter denen das neue Deutschland-Ticket verkauft wird, nicht eigens von uns ersonnen wurden. Wir empfehlen Ihnen, sich mit Ihrer Kritik direkt an die verantwortlichen politischen Interessenvertreter:innen zu wenden. Ihnen persönlich wünschen wir weiterhin alles Gute!

Antwort der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Sehr geehrte Frau XXX,

wir haben Ihren Fall gerüft. Dennoch sehen wir keine Möglichkeit für Sie tätig zu werden. Das hat folgende Gründe:

Aufgabe der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist es, betroffene Bürger*innen zu ihren Handlungsmöglichkeiten nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu beraten und informieren. Die Beratung durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kann eine ausführliche und persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen, sondern ist vor allem dafür gedacht, eine erste rechtliche Einschätzung zu ermöglichen.

Eine Einschätzung, ob eine Diskriminierung vorliegt, beurteilen wir anhand des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Nicht immer entspricht das allgemeine Verständnis von Diskriminierung und Benachteiligung dem rechtlichen Begriff des AGG. Auf Grund unseres gesetzlichen Auftrags können wir Ihren Fall nur rechtlich bewerten.

Das AGG verbietet Benachteiligungen aus rassistischen Gründen, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität im Erwerbsleben und bei bestimmten privaten Rechtsgeschäften.

Zwar stellt die Inanspruchnahme von Leistungen der Deutschen Bahn ein solches Rechtsgeschäft dar, sodass altersbedingte Benachteiligungen im Rahmen solcher Rechtsgeschäfte grundsätzlich unzulässig sind, vergleiche § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG.

Der soziale Status einer Person ist jedoch nach dem AGG nicht geschützt, vergleiche § 1 AGG.

Aus unserer Sicht komm daher – wenn überhaupt – eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters sowie wegen des Vorliegens bestimmter Behinderungen in Betracht. Denn die Inanspruchnahme bestimmter Leistungen ist an den Zugang zu einem Smarthone geknüpft und damit nicht unmittelbar an das Alter der Kund*innen. Man könnte jedoch andenken, dass gerade eine große Anzahl von älteren Kund*innen und Kund*innen mit einer Behinderung kein Smartphone besitzen oder ein solches nicht bedienen können, sodass digitale Angebote faktisch doch eine nach dem AGG geschützte Gruppe besonders negativ betreffen, vergleiche § 3 Absatz 2 AGG.

Aber eine mittelbare Benachteiligung kann durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Dabei ist im Rahmen der unternehmerischen Freiheit, die im Grundgesetz verankert ist, zu beachten, dass ein Unternehmen bspw. ein legitimes Interesse daran hat, die Angebote an die fortschreitende Digitalisierung anzupassen.

Es läuft am Ende an diesem Punkt auf eine Interessenabwägung hinaus, die wir nicht vornehmen können. Rechtsprechung gibt es zu dieser Frage bisher nicht. Die Erfolgsaussichten eines juristisches Vorgehen sind unserer Einschätzung nach daher ungewiss. Möchten Sie dennoch juristisch gegen die Deutsche Bahn vorgehen, müssten Sie sich anwaltlich beraten lassen.

Über unsere rechtliche Erstberatung hinaus haben wir keine weitergehenden Handlungsbefugnisse. Insbesondere haben wir keine gesetzliche Befugnis zwangsweise auf die Deutsche Bahn einzuwirken.

Wir sehen daher keine Möglichkeit wie wir Sie weiter unterstützen können. Wir bedauern Ihnen keine andere Auskunft geben zu können.

Mit freundlichen Grüßen
Antidiskriminierungsstelle des Bundes

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Die Kommentare und Meinungen unserer Leser (Leserbriefe)

  1. harry Holm kommentierte am 9. August 2023 at 11:08

    Nach dem lesen der Antworten kann man nur konstatieren, dass es wohl politisch ( von den Ampelparteien ) so gewollt ist, dass NUR über digitale Kanäle das Ticket erhältlich ist.
    Der mündige Wähler hat erst bei der nächsten Wahl die Möglichkeit dieses Vorgehen abzustrafen und sein Kreuz bei einer anderen Partei zu setzen.

  2. Thomas kommentierte am 26. Juni 2023 at 17:42

    Das Online Bahn Ticket verstösst ganz klar gegen das Grundgesetzt ! nur ist das den politikern Egal ,deshalb diese Parteien nicht Wiederwählen das ist das Einzige das Hilft !

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