Fahrtests für Senioren angemessen? Ein Interview mit Klaus Wicher

Unfallrisiko Alter? Wie steht es um die Fahrtauglichkeit der Altvorderen? Unser Interviewpartner Klaus Wicher stellt sich gegen die Forderung einer verpflichtenden Fahrtauglichkeitsuntersuchung. Wir haben mit ihm gesprochen.

Klaus WicherZur Person: Klaus Wicher ist Mitglied des Bundesvorstandes des Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) und 1. Landesvorsitzender des SoVD Hamburg. Er ist Dipl. Betriebswirt und Dipl. Handelslehrer und war beruflich in einem großen Berufsförderungswerk in Hamburg tätig. Seit 2011 leitet er als 1. Landesvorsitzender den größten Hamburger Sozialverband SoVD. Seine Schwerpunkte liegen im Eintreten für mehr soziale Gerechtigkeit, der zielgerichteten Bekämpfung der Armut und Langzeitarbeitslosigkeit (Bild: SoVD).

1.) Redaktion: Werter Herr Wicher, unsere Leser*innen haben zum Großteil schon ein stolzes Alter erreicht. Nun stellen Politiker wie die Grünen-Politikerin Stefanie von Berg deren Fahrtauglichkeit in Frage. Was sind die Argumente?

Klaus Wicher: Bitte erfragen Sie die Argumente von Frau von Berg direkt bei Ihr

Anmerkung der Redaktion: Das Interview mit Frau von Berg findet sich hier.

2.) Redaktion: Sie jedoch widersprechen dem?

Klaus Wicher Wir haben eine Haltung zu Verkehrssicherheit und Fahrtüchtigkeit, die ja nicht nur ältere Bürgerinnen und Bürger, sondern alle Altersgruppen angehen. Damit gehen wir in die öffentliche Diskussion, die zudem durch verschiedene Positionen geprägt ist. Es ist sicher nicht korrekt zu sagen, die und jene Partei spricht sich klar für eine Fahrprüfung von Senioren aus. Wir möchten nur den Schatten, der über der Fahrtüchtigkeit von Älteren liegt, aufhellen. Wir wollen nicht, dass Ältere grundsätzlich als problematische Verkehrsteilnehmende gelten und unter Generalverdacht geraten und wir sollten uns davor hüten, die große Gruppe der Senior:innen zu diskriminieren. Wir brauchen eine differenzierte Auseinandersetzung auf der Basis von Fakten. Keiner will Klischees strapazieren oder Stereotypen verlängern, nach dem Motto: Alt, das heißt gebrechlich, verwirrt, klapprig…

3.) Redaktion: Jede*r hat den eigenen Führerschein (mitunter teuer) erworben, mit dem Versprechen, ihn bei allgemeiner Regelbeachtung auch zu behalten. Handelt die Politik hier nicht restriktiv? Und entgegen eines liberalen Zeitgeistes?

Klaus Wicher: Ob der Staat restriktiv handelt, vermag ich nicht zu beantworten. Der Sozialverband SoVD ist eher dem täglichen Zeitgeist auf der Spur, indem er eine bürgernahe, soziale ökologische und vor allem bezahlbare Mobilität für alle fordert. Wir dürfen dabei nicht dem Zeitgeist hinterherrennen und etwa nur Lastenräder fördern. Damit kommt auch der 35-Jährige nach dem Beinbruch beim Fußball nicht zum Arzt. Wir müssen das Netz der Mobilität weiter werfen: Wenn der Hamburger ÖPNV ein kostenfreies Ticket für Ältere Menschen anbieten würde, kämen vielleicht einige von ihnen auf die Idee, ihren Führerschein freiwillig im Gegenzug abzugeben. In Hannover klappt das. Bezahlbare Ruf-Busse oder Mitfahr-Systeme könnte die Mobilität aller, auch die der Älteren verbessern. Wir wollen kein Privileg für Ältere, nur eine spezielle Mobilität fürs Alter, in das hoffentlich jeder kommt.

4.) Redaktion: Statistisch gesehen sind tatsächlich ein überproportionaler Anteil der Unfallbeteiligten in Deutschland Senioren. Würden Sie dieser Aussage zustimmen?

Klaus Wicher: Wir können nicht für den Bund sprechen. Wir verweisen auf das Statistikamt Nord. Es registriert zwischen 2016 mit 64 963 und 2021 mit 56 373 weniger Unfälle, Verunglückte und Getötete. Das ist eine positive Entwicklung. Bei Unfällen spielen jüngere Männer quantitativ eine größere Rolle als ältere Menschen.

Ein Blick auf die Statistik muss nicht nur die sogenannten Alterskohorten pauschal betrachten. Wir müssen genauer hinsehen. Um was für Unfälle handelt es sich, geht ‘s um Blechschaden, wie oft in der Hamburger Waitzstraße, oder um Personenschaden? In welchem Verhältnis stehen Fahrleistung und Anzahl der Fahrten zum Alter, wie ist die Lage in Stadt und auf dem Land…?

5.) Redaktion: Sind „Fakten“ nicht auch immer ein Erzeugnis politischer Instrumentalisierung? Ganz im Sinne von „Mächtige Interessengruppen bestimmen die Lesart, die Wertung und das mediale Framing einer Statistik – die Statistik wird zum Instrument“?

Klaus Wicher: Elisabeth Noelle –Neumann riet stets, kritisch Statistiken zu lesen. Von ihr stammt: „Statistik ist für mich das Informationsmittel der Mündigen. Wer mit ihr umgehen kann, kann weniger leicht manipuliert werden.“ Über Missbrauch mögen andere, auch Journalisten, befinden. Nicht der SoVD. Klar ist, dass hinter den Zahlen persönliche Schicksale stehen. Es ist klar, dass bei vielen persönliche Erfahrungen in die Debatte hineinspielen. Wenn ein Familienmitglied durch den Fahrfehler eines Senioren oder jungen Menschen zu Schaden gekommen oder gar gestorben ist, ist das sehr traurig. Das macht betroffen. Jeder Unfall ist einer Zuviel, egal von wem er verursacht wurde.

6.) Redaktion: Plädieren Sie, anstelle eines „Fahrtauglichkeitstests für Ältere“, für „Fahrtauglichkeitstests für
alle“?

Klaus Wicher: Der Schutz der Unversehrtheit und der Gesundheit ist ein hohes Gut. Selbstverständlich treten wir dafür ein, dass alles unternommen wird, um diesen Schutz zu gewährleisten. Wir vertrauen auf die geltenden Regeln und Gesetze und auf die Vernunft der Menschen, sich und andere nicht zu gefährden. Zuweilen mag Kontrolle besser sein als nur Vertrauen. Aber dies bitte nicht auf Zuruf und aus dem Bauch heraus. Wir setzen auf Freiwilligkeit und erwarten, dass mehr öffentliche Aufklärung erfolgt und auf die Möglichkeit von freiwilligen Tests hingewiesen wird.

7.) Redaktion: Die letzten Worte gehören Ihnen, Herr Wicher.

Klaus Wicher:Mobilität ist für eine Gesellschaft, egal welchen Alters, von großer Bedeutung. Sie ist eine Grundvoraussetzung für soziale Teilhabe und eine gesunde Wirtschaft. Dabei gestalten sich Mobilitätsbedürfnisse individuell und sind von Faktoren wie Wohnumfeld, Alter, Gesundheit oder wirtschaftlicher wie beruflicher Situation abhängig. In dieser Lage muss Mobilität für Hamburg überall und für alle verfügbar sein. Jeder muss sich Mobilität leisten können, um Arzt, Seniorentreff oder Jugendtreff zu erreichen. Und sie muss baulich barrierefrei sein, damit eine Rolli-Fahrerin ins Theater kommt und sie muss sprachlich barrierefrei sein, damit z. B. der Geflüchtete im Bezirksamt klarkommt. Auch die, die älter sind, müssen vorne einsteigen dürfen, um Teil der mobilen Gesellschaft zu sein. Eine größer werdende Zahl älterer Menschen gerät immer mehr in schwierige Verhältnisse und kann sich vieles nicht mehr leisten. Deswegen ist die Umsetzung unserer Forderung nach einer kostenfreien Nutzung des ÖPNV für bedürftige Menschen, gerade für die Gruppe der älteren Menschen, sehr bedeutsam. Auf diesem Gebiet würden wir uns mehr Aktivitäten aus der Politik wünschen.

Redaktion: Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

Lesen Sie hier auch das Interview mit Stefanie von Berg.

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