Interview zu den Sozialwahlen 2023 mit Dagmar König von der ver.di

Die Sozialwahlen 2023 rücken immer näher, erste Informationsschreiben erreichen inzwischen die Versichertengemeinschaft. Doch wie funktioniert die Wahl und wofür setzen sich die einzelnen wählbaren Institutionen ein? Dagmar König von der ver.di hat sich bereiterklärt, mit uns über wichtige Fragen rund um die soziale Zukunft zu sprechen.

Zur Person: Dagmar KönigDagmar König ist im Bundesvorstand von ver.di für die Soziale Selbstverwaltung zuständig und zudem Selbstverwalterin als Mitglied des Vorstands bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Die Berlinerin blickt auf langjährige sozialpolitische Erfahrungen zurück.

1.) Redaktion: Werte Frau König, im Mai 2023 kommt es zu den nächsten Sozialwahlen. Warum sollten die Wahlberechtigten dabei Ihre Liste wählen? Für welche Positionen machen Sie sich besonders stark?

Dagmar König: ver.di ist eine starke Gemeinschaft mit knapp 1,9 Millionen Mitgliedern, die sich auf vielen Ebenen engagiert. Wir setzen auf Solidarität! Wir sind bundesweit aktiv und bestens vernetzt, in Betrieben und Verwaltungen, in zahlreichen Gremien und auf politischer Ebene – so kennen wir die Interessen der Versicherten aus Erfahrung und können sie kraftvoll vertreten. Trägerübergreifend ist uns wichtig, die Selbstverwaltung zu stärken, damit die Versicherten darüber mitbestimmen können, was mit ihren Beiträgen passiert. Die Interessen der Versicherten müssen im Mittelpunkt des Handelns stehen, daran müssen sich die Sozialversicherungsträger orientieren. Allzu leicht gerät das mitunter im Tagesgeschäft in Vergessenheit. Wir wollen einen starken Sozialstaat, bei dem niemand allein gelassen wird, der Hilfe benötigt. Das gilt für die Rentenversicherung mit erreichbaren, kompetenten Beratungsangeboten und bestmöglichen Rehabilitationsleistungen, für die Krankenkassen mit guten, schnellen und ortsnahen Versorgungs- und Beratungsleistungen und für die Unfallkassen und Berufsgenossenschaften mit einer angemessenen Absicherung.

2.) Redaktion: Der demografische Wandel in Deutschland schiebt die Alterspyramide unweigerlich in ein Missverhältnis und der Renteneintritt der „Boomer“-Generation beginnt. Muss das bisherige Rentenalter darum angehoben werden, wie es aktuell wieder diskutiert wird? Lassen sich Generationenvertrag und Umlageverfahren so noch aufrechterhalten? Brauchen wir eine Rentenversicherung für alle (also auch unter Beteiligung von Selbstständigen, Beamten etc.)?

Dagmar König: Für ver.di ist eine starke, verlässliche gesetzliche Rentenversicherung unabdingbar. Generationenvertrag und Umlageverfahren müssen auch weiterhin Kernstück der Altersabsicherung sein. Allerdings setzt sich ver.di seit langem für eine Bürgerversicherung ein, die alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezieht, dass schafft Sicherheit für alle. Wir setzen auf steigende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die Beiträge in die Rentenkassen bringt.

Angesichts des Arbeits- und Fachkräftebedarfs und der Anstrengungen, diesem zu begegnen, kann dies ein Weg zur langfristigen Stabilisierung sein. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters lehnt ver.di ab, zumal schon jetzt viele Menschen aus gesundheitlichen Gründen das Regelrenteneintrittsalter gar nicht erreichen.

3.) Redaktion: Altersarmut wird gerade in Zeiten einer akuten Wirtschafts- und Energiekrise für viele Menschen eine ernstzunehmende Bedrohung. Welche rentenpolitische Reaktion erachten Sie angesichts dessen als angemessen?

Dagmar König: Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass die Rente immer ein Abbild des Erwerbslebens ist. Daher sind gute Löhne, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und möglichst ununterbrochene Erwerbsbiographien der beste Schutz vor Altersarmut. Dafür macht sich ver.di stark. Gerade – aber nicht nur – für Frauen ist auch eine angemessene Berücksichtigung von Sorgearbeit in der Rente notwendig. Die Einführung des Grundrentenzuschlags war ein wichtiges Instrument zur Anerkennung von Lebensleistung, hier setzt sich ver.di für die Rücknahme der Einkommensprüfung ein. Darüber hinaus brauchen wir mehr betriebliche Altersversorgung, um insbesondere für Geringverdienende eine ergänzende Leistung zur gesetzlichen Rente zu haben. Entscheidend ist auch nicht nur die Stabilisierung des Rentenniveaus, sondern insbesondere dessen Anhebung, um zu einer auskömmlichen Rente für alle zu kommen. Dies ist eine langjährige ver.di Forderung, der wir auch mit öffentlichen Kampagnen immer wieder Nachdruck verleihen.

4.) Redaktion: Wo sehen Sie die größten Handlungsbedarfe im Bereich Rehabilitation?

Dagmar König: In einer immer älter werdenden Gesellschaft bekommt Rehabilitation einen immer höheren Stellenwert, um Verbleib oder Rückkehr in den beruflichen Alltag zu ermöglichen. Aber auch die Art der Rehabilitation muss sich verändern: eine ganzheitliche Betrachtung von Beeinträchtigungen ist entscheidend, denn zunehmend haben Menschen nicht nur eine Erkrankung. Außerdem steigt der Anteil psychosomatischer Beschwerden, sowohl aufgrund der Arbeitsverdichtung in vielen Berufsfeldern als auch angesichts der vielfältigen außerberuflichen Anforderungen und Problemlagen. Wichtig ist ebenso, mehr Menschen rechtzeitig zu erreichen, damit eine Rehabilitation auch den bestmöglichen Erfolg bringen kann.

5.) Redaktion: Die ver.di stand bereits zuvor, z. B. bei den Sozialwahlen 2017, zur Wahl. Haben Sie Beispiele, welche inhaltlichen Aspekte Ihre Vertreter*innen seither beeinflusst haben?

Dagmar König: Wir haben in vielen Bereichen ganz konkrete Erfolge erzielen können.

So haben unsere Selbstverwalter*innen in den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen während der Corona-Pandemie zahlreiche Regelungen zum besseren Schutz der Beschäftigten durchsetzen können. Das hat viele vor einer Infektion bewahrt und denen effektiv geholfen, die erkrankt sind. In den Krankenkassen und ihren Gremien haben unsere Selbstverwalter*innen viele Leistungen im Interesse der Versicherten durchsetzen und Verbesserungen erreichen können. In den Widerspruchsausschüssen wird Verwaltungshandeln kritisch hinterfragt und oft im Sinne der Versicherten korrigiert.

Bei der gesetzlichen Rentenversicherung konnten die Beratungsangebote für die Versicherten ausgeweitet und kundenorientierter gestaltet werden – digital und persönlich. Die Rehabilitationsleistungen standen ebenfalls im Fokus, sie konnten schnell und effizient bedarfsgerecht angepasst und ausgebaut werden. Darüber hinaus konnten zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, um die Bearbeitung von Anliegen zu beschleunigen und die Rentenversicherung für die digitale Zukunft gut aufzustellen.

6.) Redaktion: An den Sozialwahlen wird kritisiert, dass die Nominierung der Kandidat*innen und die Zusammensetzung der Listen für die Wählenden intransparent ist. Wie bewerten Sie das?

Dagmar König: Für ver.di ist die Transparenz des Nominierungsverfahrens seit langem selbstverständlich. Bei uns gibt es organisationsintern Richtlinien für die Aufstellung der Kandidat*innen und Kandidaten, die von unserem obersten Entscheidungsgremium, dem Gewerkschaftsrat, beschlossen wurden. Diese sind für uns verbindlich, nach den dort festgelegten Kriterien stellen wir unsere Listen zusammen. Bevor sie eingereicht werden, müssen sie von den dafür zuständigen demokratisch gewählten Gremien (die aus Haupt- und Ehrenamtlichen bestehen) beschlossen werden. Für uns galt also schon längst, was vom Gesetzgeber für diese Wahl erstmals gefordert wird.

7.) Redaktion: Warum sollten möglichst viele Menschen an den Sozialwahlen 2023 teilnehmen?

Dagmar König: In der Vergangenheit hat es aus der Politik von unterschiedlichen Parteien immer wieder Versuche gegeben, die Rechte der sozialen Selbstverwaltung zu beschneiden. Das haben wir erfolgreich verhindern können. Damit die Soziale Selbstverwaltung gestärkt wird und die Versicherten auch in Zukunft noch über die Verwendung ihrer Beiträge mitentscheiden können, braucht es eine starke soziale Selbstverwaltung. Dafür ist eine möglichst hohe Wahlbeteiligung von entscheidender Bedeutung.

Redaktion: Frau König, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

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