Interview zu den Sozialwahlen 2023 mit Hans-Jürgen Urban, IG Metall

Wenn die Sozialwahlen 2023 durchgeführt werden, steht auch die IG Metall zur Wahl. Freundlicherweise stand uns Hans-Jürgen Urban, Vorstand bei der IG Metall, für einige renten- und sozialpolitische Fragen zur Verfügung.

Hans-Jürgen Urban, Sozialwahlen 2023Zur Person: Dr. Hans Jürgen Urban ist seit November 2007 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Der promovierte Sozialwissenschaftler ist bei der IG Metall zuständig für die Themen Sozialpolitik sowie Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik. (Bildquelle: IG Metall).

1.) Redaktion: Werter Herr Urban, im Mai 2023 kommt es zu den nächsten Sozialwahlen. Warum sollten die Wahlberechtigten dabei Ihre Liste wählen? Für welche Positionen machen Sie sich besonders stark?

Hans-Jürgen Urban: Die Aktiven der IG Metall sind eine starke Stimme für die Versicherten: für gut ausgestattete Krankenkasse, Rentenversicherungen und Berufsgenossenschaften. Ob im Krankheitsfall, in der Rente, bei einem Arbeitsunfall oder bei Pflegebedürftigkeit: Unsere Sozialversicherungen müssen zu jeder Zeit gute Leistungen für die Versicherten bringen. Wo immer es geht, setzen wir uns für einen Ausbau von Leistungen ein, damit Versicherte nicht privat draufzahlen müssen. In der Gesundheitspolitik und Pflege fordern wir eine echte Parität, ohne Eigenbeteiligungen der Versicherten. Kostendruck und Spardiktate dürfen nicht zu Leistungsabbau führen.

Kurzum: Die IG Metall tritt als Gewerkschaft dafür an, dass die Versicherungen keine weltfremden Verwaltungsapparate sind, sondern nah dran an den Versicherten, an Beschäftigten, ebenso wie an Rentnerinnen und Rentnern. Das machen wir je nach Träger als eigenständige Liste, aber auch unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes oder zusammen mit anderen Schwestergewerkschaften.

2.) Redaktion: Der demografische Wandel in Deutschland schiebt die Alterspyramide unweigerlich in ein Missverhältnis und der Renteneintritt der „Boomer“-Generation beginnt. Muss das bisherige Rentenalter darum angehoben werden, wie es aktuell wieder diskutiert wird? Lassen sich Generationenvertrag und Umlageverfahren so noch aufrechterhalten? Brauchen wir eine Rentenversicherung für alle (also auch unter Beteiligung von Selbstständigen, Beamten etc.)?

Hans-Jürgen Urban: Unser gesetzliches Rentensystem ist für die Versicherten verlässlich und absolut wertvoll. Das Umlageverfahren hat sich jahrzehntelang für die Gesellschaft und die Menschen bewährt. Die gesetzliche Rente muss deshalb gestärkt werden, indem auch gutverdienende Politiker*innen, Beamte und Selbstständige einzahlen. Die besten Beiträge für eine solide Finanzierung bleiben ordentliche Tariflöhne. Klar ist aber auch, dass wir angesichts des demographischen Wandels für langfristige Stabilität Zuwanderung und Steuerzuschüsse im Rentensystem brauchen. Wer aber an der Schraube des gesetzlichen Renteneintrittsalters drehen will, will den Menschen Rentenkürzungen auflasten: Schon heute halten viele Ältere im Job nicht mehr durch. Je höher das Renteneintrittsalter, desto höher sind auch die Rentenabschläge für ausgepowerte Beschäftigte.

3.) Redaktion: Altersarmut wird gerade in Zeiten einer akuten Wirtschafts- und Energiekrise für viele Menschen eine ernstzunehmende Bedrohung. Welche rentenpolitische Reaktion erachten Sie angesichts dessen als angemessen?

Hans-Jürgen Urban: Es ist gut, wenn die Bundesregierung beim Rentenniveau eine untere Haltelinie einziehen will und so für Sicherheit und Vertrauen sorgt. Als IG Metall haben wir uns schon sehr früh für Entlastungen angesichts der Energiekosten eingesetzt, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen. Auch nach den erfolgten Einmalzahlungen muss die Bundesregierung weiterhin ein besonderes Auge auf sie haben und gegebenenfalls die Grundrente noch einmal verbessern.

4.) Redaktion: Wo sehen Sie die größten Handlungsbedarfe im Bereich Rehabilitation?

Hans-Jürgen Urban: Egal ob bei Krankenkassen, Berufsgenossenschaften oder der Rentenversicherung: Betroffene brauchen zum richtigen Zeitpunkt eine hochwertige Versorgung. Das ist keineswegs banal: Die Patientinnen und Patienten brauchen ein Navigationssystem, das sie zur richtigen und bestmöglichen Reha führt. Hier haben unsere Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter ein Auge drauf. Auch geht es ihnen um neue Reha-Verfahren, zum Beispiel für Long-Covid oder psychische Erkrankungen.

5.) Redaktion: Ihre IG Metall stand bereits zuvor, z. B. bei den Sozialwahlen 2017, zur Wahl. Haben Sie Beispiele, welche inhaltlichen Aspekte Ihre Vertreter*innen seither beeinflusst haben?

Hans-Jürgen Urban: Auf unseren Druck hin haben die Kassen etwa die Zuschüsse für Hörgeräte deutlich erhöht. Außerdem haben gewerkschaftliche Selbstverwalter*innen erreicht, dass Berufskrankheiten häufiger als bisher als solche anerkannt werden. Das Gesundheitssystem steht seit Jahren unter Stress. Die Haushaltsplanungen der Versicherungen bedeuten oft Kostendruck. In verschiedenen Kassen haben wir verhindert, dass dieser Spardruck zulasten von guten Leistungen geht und etwa die Versorgung von chronisch Kranken eingeschränkt wird. Das sind oft scheinbar kleine Dinge, aber für die Einzelnen im wahrsten Wortsinn viel wert.

6.) Redaktion: An den Sozialwahlen wird kritisiert, dass die Nominierung der Kandidat*innen und die Zusammensetzung der Listen für die Wählenden intransparent ist. Wie bewerten Sie das?

Hans-Jürgen Urban: Die Kritik kann ich in Teilen gut nachvollziehen. Bei den Sozialwahlen treten bei vielen Trägern Vereinigungen zur Wahl an, die sich nur zum Zwecke der Wahl überhaupt gründen und über die man sonst wenig erfährt. Das ist schon etwas obskur. Es ist daher gut, dass bei dieser Wahl nun Niederschriften zur Listenaufstellung vorgelegt werden müssen.

Bei der IG Metall, ihren Schwestergewerkschaften und dem DGB war mangelnde Transparenz noch nie ein Problem. Wir sind demokratisch organisierte Institutionen, die über eine breite Mitgliedschaft verfügen. Allein die IG Metall hat mit 2,2 Millionen mehr Mitglieder als alle im Bundestag vertretenen Parteien zusammen! Der Listenaufstellungsprozess läuft bei uns seit jeher transparent: vom Aufruf zur Kandidatur über die Zusammensetzung der Liste sind alle Ebenen der IG Metall eingebunden. Unsere gewählten Selbstverwalter*innen vertreten in ihren Gremien unsere demokratisch beschlossenen sozialpolitischen Positionen. Mitbestimmung ist für uns ein Wert, den es in vielen Bereichen zu leben gilt: im Betrieb, Unternehmen, den Sozialversicherungen und darüber hinaus. Unsere Selbstverwalter*innen sind aktive Gewerkschafter*innen, die dies verinnerlicht haben. Mehr Demokratie geht nicht.

7.) Redaktion: Warum sollten möglichst viele Menschen an den Sozialwahlen 2023 teilnehmen?

Hans-Jürgen Urban: Mit den Verwaltungsräten und Vertreterversammlungen wählen die Versicherten die höchsten Entscheidungsgremien, die über Satzung, Budgets und alle grundsätzlichen Fragen entscheiden. Ob Zusatzbeiträge, innovative Versorgung, spezielle Leistungen, Qualität bei der Reha oder der Anerkennung von Berufskrankheiten: Hier ist grundsätzlich eine starke Stimme der Beschäftigten sowie der Rentnerinnen und Rentner äußerst wichtig.

Mit einer Teilnahme an der Sozialwahl bestimmen die Versicherten mit. Sie können dafür sorgen, dass mit ihrer Stimme die sozialen Selbstverwaltungen starke Vertreterinnen und Vertretern für Solidarität und Gerechtigkeit bekommen!

Redaktion: Herr Urban, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

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