03. November 2016. Die Rente wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Schlüsselthema bei den anstehenden Bundestagswahlen 2017 sein. Denn in Deutschland ist ein Diskurs über den Zustand der gesetzlichen Rentenversicherung entbrannt, der immer wieder von neuen, besorgniserregenden Zahlen befeuert wird. Unsere Redaktion will daher den Plänen der einzelnen Streitparteien auf den Grund gehen. Heute stellt sich Karin Heepen, Bundesvorsitzende des Bündnis C, unserem Interview.
Infomagazin Seniorenbedarf: Sehr geehrte Frau Heepen, gestatten Sie eingehend eine Frage zum Thema Glauben. Die “christliche Volkspartei” CDU erlebte in den letzten Wochen herbe Wahlniederlagen. Religionskritiker wie Philipp Möller gewinnen an Popularität. Seit 2012 steigt die Zahl der Kirchenaustritte wieder. Wie steht es um den christlichen Glauben in unserem Land?
Heepen: Die CDU hat viele ihrer Wähler verloren, weil sie christlich fundierte politische Positionen sukzessive aufgegeben und sich an andere ideologische Strömungen der Gesellschaft angepasst hat, zum Beispiel in Bereichen, die Familie und Kindererziehung betreffen. Hier ist vor allem das Gender Mainstreaming zu nennen, das auf der Grundlage wissenschaftlich nicht haltbarer, ideologischer Vorgaben die gesamte Gesellschaft im Sinne einer konstruierten sexuellen Vielfalt umerziehen will.
Wer sich als Volkspartei von einer kleinen Minderheit der Gesellschaft so instrumentalisieren lässt, anstatt Ehe, Familie und Kinder gemäß dem Grundgesetz zu schützen, wird vom Volk nicht mehr gewählt. Dieser Schutz von Ehe, Familie und Kindern ist eine genuin christliche und naturrechtliche Position, der die Mehrheit der Bevölkerung bis heute aus gesundem Menschenverstand heraus folgt, auch wenn sie die biblische Grundlage dazu vielleicht nicht mehr kennt. Insofern spielt der christliche Glaube nach wie vor eine entscheidende Rolle in unserem Land, weil unsere Kultur von dieser biblischen Grundlage her geprägt wurde.
Infomagazin Seniorenbedarf: Der demografische Wandel schreitet mit jedem Tag stärker voran. Bis 2060 soll jeder dritte Deutsche über 65 Jahre alt sein. Sind wir als Gesellschaft dafür bereit?
Heepen: Nein, wir sind dafür nicht bereit. Wir haben nach wie vor eine Familienpolitik, die es zu einem Nachteil macht, Kinder zu haben. Und die wären der einzige Weg, dem demografischen Wandel wirksam gegenzusteuern. Unkontrollierte Zuwanderung wird den Mangel an Fachkräften nicht ausgleichen und deren Anwerbung aus ärmeren Ländern dürfen wir als reiches Land ethisch nicht vertreten.
Infomagazin Seniorenbedarf: Das Rentensystem steht an einem Scheideweg. Zwar unterstreicht die Politik die fundamentale Relevanz der gesetzlichen Rente, wird aber auch nicht müde betriebliche und private Zusatzvorsorge zu lancieren. Ist das auch in Ihren Augen unausweichlich?
Heepen: Bündnis C sieht nicht den Staat, sondern die Familie als Verbund aus mehreren Generationen als das primäre Versorgungssystem für den Einzelnen an, also die Fürsorge der Generationen innerhalb der Familie. Familien müssen gestärkt und finanziell dafür ausgestattet werden, damit sie wieder ihre unverzichtbaren sozialen Aufgaben erfüllen können: Pflege und Erziehung der Kinder und die Weitergabe von Werten und Überzeugungen an die kommenden Generationen, und wo es möglich ist, die Pflege der Senioren und die Unterstützung wirtschaftlich in Not geratener Angehöriger. Wir wollen Familie in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung ohne Bevormundung durch den Staat.
Diese Verantwortung der Familie muss dringend wieder ins Bewusstsein gerufen werden, weil sowohl die gesetzliche Rente als auch die angemahnte private Vorsorge die Alterssicherung für viele nicht mehr ausreichend leisten werden. Für den Generationenvertrag des gesetzlichen Rentensystems fehlt der Nachwuchs und die private Vorsorge mittels Garantiefonds und anderen Anlagen bringt aufgrund der Niedrigzinspolitik keine Ertragsteigerungen mehr. Altersarmut will Bündnis C mit einer einfach strukturierten, transparenten Grundabsicherung abfangen.
Infomagazin Seniorenbedarf: In einem klassischen deutschen Haushalt ist nach wie vor der Ehemann Hauptverdiener. Erziehungszeiten kann sich die Ehefrau zwar anteilig für ihre spätere Rente anrechnen lassen. Aber nach den vielen Jahren ohne berufliche Praxis haben es viele Frauen irgendwann schwer, einen Job zu finden, der vergleichbare Privilegien und Einkünfte mit dem des Mannes verspricht – was natürlich ebenfalls Auswirkungen auf Rentenzahlungen & Co hat. Müssen Kinder etwa bald noch frühzeitiger in Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen gegeben werden, um den Eltern den Wiedereinstieg in den Beruf schneller zu ermöglichen? Und entfremdet das Familien nicht eher, als das es ihnen nützt?
Heepen: Genauso ist es. Leider zielt die einseitige Förderung der Fremdbetreuung in Kinderkrippen und Kindergärten genau darauf ab, statt die häusliche Erziehungsleistung angemessen zu honorieren.
Das deutsche Grundgesetz Artikel 6 fordert, dass die Erziehung und Pflege der Kinder die höchste Priorität in der Lebensgestaltung ihrer Eltern haben muss. Kinder brauchen für eine seelisch gesunde Entwicklung Mutter und Vater, ganz besonders in den ersten Lebensjahren. Genauso verweist das Grundgesetz auf das natürliche Recht der Eltern, ihre Kinder selbst zu erziehen und somit auch Werte, Glaubensinhalte und ihre Weltanschauung weiterzugeben. Der Ausdruck “natürliches Recht”, der hier verwendet wird, ist der stärkste Rechtsbegriff im Grundgesetz.
Damit Eltern ihre Erziehungsverantwortung dem Grundgesetz gemäß wahrnehmen können, wollen wir mit einem Erziehungsgehalt einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die Erziehungsleistung von Eltern und Familien schaffen. Bei Wegfall der hohen staatlichen Subventionen für Kindertagesstätten ist ein Erziehungsgehalt für Eltern problemlos zu finanzieren. Damit können Eltern frei wählen, ob sie ihre Kinder fremd betreuen lassen und die Kosten dafür tragen oder ohne finanzielle Benachteiligung selbst erziehen. Wer diese Erziehungsleistung Eltern nicht zutraut, begibt sich freiwillig in die Abhängigkeit von Institutionen. Das ist bequem, schränkt aber unser aller Freiheit immer mehr ein. Die Anerkennung der Erziehungsleistung mittels eines Erziehungsgehaltes schlägt sich dann unmittelbar auch in damit erworbenen Rentenansprüchen nieder.
Infomagazin Seniorenbedarf: Studien belegen, dass viele Entwicklungs- und Schwellenländer ein weit geringeres Wirtschaftswachstum hinlegen als westliche Industriestaaten. Beim individuellen „Glück“ der Bürger verhalte es sich aber zunehmend umgekehrt. Ist wirtschaftlicher Wachstum als Heilsbringer demnach ein Trugschluss?
Heepen: Bündnis C setzt auf eine Wirtschaft, die dem Menschen dient, statt der Einpassung des Menschen in ein Wirtschaftssystem, das allein auf zahlenmäßiges Wachstum und immer weiteres Ankurbeln des Konsums ausgerichtet ist. Die Ressourcen unserer Erde sind endlich. Und Menschen werden nicht glücklicher dadurch, dass sie immer weiter Dinge kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen. Das ist ein Materialismus, den sich die Menschen in ärmeren Ländern nicht leisten können. Sie sind stattdessen auf Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung angewiesen, um zu überleben. Im christlichen Sprachgebrauch nennt man das Nächstenliebe. Gute Beziehungen zu den Mitmenschen und heile Familien sind ein deutlich wirksamerer Glücksfaktor als Geld und Konsumgüter.
Infomagazin Seniorenbedarf: Was führt dazu, dass “Soziale Ungleichheit” in Deutschland ein dauerhaftes Thema darstellt? OECD-Generalsekretär Angel Gurría warnte erst 2015: Noch nie in der Geschichte der OECD war die Ungleichheit innerhalb der Länder so hoch wie heute.
Heepen: Wir haben heute in verschiedenen Bereichen eine zu umfassende, falsche und oft unheilvolle Tätigkeit des Staates. Zum Beispiel wurde im Rahmen der Banken- und Staatsverschuldungskrise der Staat missbraucht, um unverantwortliches Verhalten von Finanzinstitutionen und anderen Staaten zu Lasten der breiten Bevölkerung und künftiger Generationen hierzulande auszugleichen.
Durch politisch instrumentalisierte Zentralbanken wird die Geldmenge erhöht, was prinzipiell zur Gefahr erhöhter Inflation führen kann, durch die große Teile der Bevölkerung teilenteignet werden. Politisch unabhängige Volkswirte haben diese Entwicklungen zurecht als „Sozialismus zugunsten des Großkapitals“ bezeichnet. Denn die Nutznießer dieses fragwürdigen und oft gesetzwidrigen Engagements des Staates sind nicht zuletzt die Akteure der Finanzwirtschaft.
Faktoren, die zu einer Konzentration wirtschaftlicher und finanzieller Macht führen, sind die genannte staatliche Intervention zugunsten der großen Finanzinstitute oder misswirtschaftender Staaten und der politische Missbrauch der Zentralbanken.
Ebenfalls zu nennen sind der Verzinsungseffekt bezüglich Schulden und Guthaben, der eine Umverteilung von „unten nach oben“ bewirkt, aber auch wie schon erwähnt falsche Instrumente der Vermögensbildung und Altersabsicherung für die breite Bevölkerung, die letztlich ebenfalls der Finanzwirtschaft und indirekt dem Staat zugutekommen.
Auf Marx und Engels zurückgehende Wirtschaftskonzepte sehen den Staat als die Instanz, die Gerechtigkeit auf Erden schaffen und die gesellschaftlichen Probleme lösen soll. Dieses blinde, unkritische Vertrauen in den Staat, das in der Vergangenheit auch totalitäre Systeme befördert hat, haben Christen – bei aller Loyalität – nicht. Wir glauben an “Gott, den Vater” und nicht an den “Vater Staat”. Eine scheinsoziale Staatswirtschaft anstelle einer sozialen Marktwirtschaft schafft nicht mehr Gerechtigkeit, sondern würgt unternehmerische Kreativität ab. Die Wirtschaft – und nicht der Staat – erarbeitet aber den Wohlstand der Gesellschaft. Der Staat hat nur Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb zu setzen, die einer Konzentration wirtschaftlicher Macht, Kartellbildung und Ausbeutungsmechanismen entgegenstehen.
Infomagazin Seniorenbedarf: Uns liegen Erfahrungsberichte vor, die insbesondere im Feld der Pflege ein erschreckendes Bild zeichnen. Enge Zeitpläne, schlechte Behandlung durch das Pflegepersonal, hohe Kosten. Wie lassen sich die Zustände in der Altenpflege verbessern?
Heepen: Bündnis C tritt ausdrücklich für die Belange von Familien, alten Menschen, Eltern und Kindern ein. Es ist unsere Pflicht, alte Menschen wertzuschätzen und insbesondere die eigenen, alt gewordenen Eltern und Großeltern zu versorgen. Die Familie ist der beste und natürliche Ort zum Altwerden. Die aktuelle Pflegereform ist zwar aus dem Pflegenotstand heraus geboren, aber ein Schritt in die richtige Richtung, um die häusliche Pflege zu stärken. Die bisherigen Finanzierungsangebote sind dafür jedoch unzureichend. Das Gesamtkonzept des bedingten Grund- und Erziehungsgehaltes von Bündnis C deckt auch ein Gehalt für die Pflege Angehöriger ab.
Angehörige können schwere Pflege aber selten ganz allein leisten. Wenn nicht mehrere Familienangehörige vor Ort sind, braucht es nachbarschaftliche, private und kirchliche Verbände, die sie darin unterstützen, und die Pflegedienste zur Ergänzung.
Infomagazin Seniorenbedarf: Der Familienzusammenhalt in Deutschland scheint zu bröckeln. Wo früher noch mehrere Generationen unter einem Dach gelebt haben, wohnt man heute hunderte Kilometer voneinander entfernt. Entwurzelt sich das Individuum immer stärker von seiner Familie?
Heepen: Ja, das tut es. Andererseits haben junge Menschen nach wie vor den Wunsch, Familie zu gründen, Ehepartner und Kinder zu haben. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit gehört zur menschlichen Identität. Wir sind auf Beziehung angelegt und nicht als Einzelkämpfer geschaffen. Alle anderen Beziehungsnetze außer dem der Familie muss man sich aufbauen und sie erhalten. Die Familie ist das einzige, wo man ganz selbstverständlich dazugehört.
Leider hat der Individualismus unserer Kultur diese Bindungen stark beschädigt, was Hand in Hand mit Dynamiken der Globalisierung geht. Wir erleben aber auch, dass Menschen nach einigen Jahren in der Fremde dahin zurückkehren, wo sie aufgewachsen sind, und Familien wieder zusammenfinden. Diese Unterstützungssysteme werden wir zunehmend wieder brauchen, auch für unsere alten Menschen. Wo Freiheit und Unabhängigkeit die höchsten Werte und Ziele sind, ist man im Alter sehr einsam.
Infomagazin Seniorenbedarf: Was kann der Einzelne tun, um die Lebensbedingungen in unserem Land zu verbessern?
Heepen: Die bereits erwähnte Nächstenliebe ist kein Relikt aus Wohltätigkeitsvereinen, sondern eine Haltung gegenüber dem Mitmenschen, in der man nicht nur sich selbst der Nächste ist. Der Einsatz für den Anderen ist immer freiwillig und darf vom Staat nicht für eine Zwangssolidarisierung der Gesellschaft nach seinen Vorgaben moralisch instrumentalisiert werden. Wer in der Politik tätig ist, muss dafür Sorge tragen, dass der Staat förderliche Rahmenbedingungen für privates, bürgerschaftliches und kirchliches soziales Leben setzt. Darin kann jeder aktiv werden, um bedürftige Menschen in seinem Umfeld zu unterstützen.
Infomagazin Seniorenbedarf: 2017 sind Bundestagswahlen. Was sind die Hauptargumente dafür, Ihrer Partei (m)eine Stimme zu geben?
Heepen: Die Freiheit und Würde des Menschen darf niemals menschlicher Willkür unterworfen sein. Diese Würde umfasst das ganze menschliche Leben von der Zeugung bis zum natürlichen, vollständigen Tod des Menschen. Bündnis C steht für diesen umfassenden Schutz des Lebens und der Würde des Menschen, damit der Mensch nicht weiter durch sich formierende Machtsysteme instrumentalisiert wird: weder durch ein politisches, noch durch ein Wirtschafts-, Finanz- oder Sozialsystem, das ihn vereinnahmt und zum Objekt seiner Interessen machen will.
Wir stehen für Religions-, Meinungs- und Gewissensfreiheit, weil sie zur Würde des Menschen gehören und nicht beschnitten oder manipuliert werden dürfen.
Wir wollen Eltern und Familien stark machen für ihre unverzichtbaren Aufgaben in der Gesellschaft.
Und wir verbinden das Land, indem wir weder linken, neomarxistischen noch rechten, nationalistischen Ideologien folgen, die die Gesellschaft immer stärker polarisieren. Die Wahrheit ist weder rechts noch links.
Im internationalen Rahmen sehen wir Deutschland als Nation, die über sich selbst hinaus anderen Ländern zum Frieden dient und Fluchtursachen mindern hilft. Dafür setzen wir uns mit der European Christian Political Movement (ECPM) in der EU ein.
Infomagazin Seniorenbedarf: Sehr geehrte Frau Heepen, haben Sie vielen Dank für das Interview.
Liebe Frau Heepen, das ist eines der besten Interviews, welches ich bisher gelesen haben. Chapeau!