“Im Wettbewerb der Pflegeeinrichtungen geht es nicht um die beste Pflege, sondern um den höchsten Profit” – Interview mit Pia Zimmermann, der pflegepolitischen Sprecherin für DIE LINKE

InterviewDer Pflegenotstand verschärft sich mit jedem Tag, getrieben von demografischem Wandel, schlechten Arbeitsbedingungen und einem chronischen Personalmanagel in der Pflege. Wir haben als Magazin Herbsterwachen daher ein Interview mit der pflegepolitischen Sprecherin von DIE LINKE, Pia Zimmermann, geführt – die ein hochgradig reformbedürftiges Bild der Pflegesituation in Deutschland zeichnet.

Zur Person:

Pia ZimmermannSeit 2013 ist Pia Zimmermann für die Fraktion DIE LINKE Mitglied des deutschen Bundestages, agiert als pflegepolitische Sprecherin für ihre Partei und sitzt zudem im Gesundheitsausschuss. Darüber hinaus ist die Mediengestalterin und studierte Sozialwissenschaftlerin die amtierende Landesvorsitzende der niedersächsischen Linkspartei.

Herbsterwachen: Sehr geehrte Frau Zimmermann, Sie haben vergangenen Donnerstag in einem Vortrag auf die Probleme in der Pflege hingewiesen. Wo besteht denn exemplarisch ein absolut akuter Handlungsbedarf?

Zimmermann In der Pflege drückt es an sehr vielen Stellen. Die Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen merken das ja täglich. Das größte Problem ist meiner Meinung nach der Personalmangel. Das ist auch das erste, was Pflegekräfte und Betroffene sagen, wenn ich sie frage, was sich denn in der Pflege ändern müsste: Mehr Personal. Erst danach kommen die berechtigten Forderungen nach einem besseren Gehalt und guten Arbeitsbedingungen.

DIE LINKE fordert eine gesetzliche Personaluntergrenze in allen Bereichen der Pflege und ein Sofortprogramm für mehr Pflegekräfte. Wir erklären auch, wie man es finanzieren kann. Durch die Auflösung des Pflegevorsorgefonds könnten sofort 40.000 tariflich bezahlte Pflegekräfte eingestellt werden.

Herbsterwachen: Die Bundesregierung hat die Pflegestärkungsgesetze I bis III und das Qualitätssicherungsgesetz in Kraft gesetzt. Sind das in Ihren Augen sinnvolle Gesetze?

Zimmermann Die Pflegestärkungsgesetze, für die sich die Regierung gerade selbst so sehr lobt, sind Feigenblätter, wenn man sie sich genau anschaut. Vieles geht sicher in die richtige Richtung, aber im Ganzen betrachtet sind diese Reformen leider nur halbherzig.

Nehmen Sie zum Beispiel den Personalmangel. Den bestreitet niemand, nicht einmal die Bundesregierung. Und was steht in den Gesetzen? Eine wissenschaftliche Prüfung von gesetzlicher Personalbemessung in den Altenpflegeinrichtungen soll bis 2020 erfolgen. Ein paar Betreuungskräfte wurden in Altenpflegeeinrichtungen zusätzlich eingestellt. Keine Pflegekräfte, keine Sofortmaßnahmen, keine Hilfe für die völlig überlasteten und ausgelaugten Pflegekräfte, die im Durchschnitt nach nicht einmal 8 Jahren ihren Beruf verlassen, weil sie es körperlich und psychisch nicht mehr aushalten. Das ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen man die Mutlosigkeit der Regierung erkennen kann.

Herbsterwachen: Karl-Josef Laumann, der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, hat uns in einem Interview erklärt, dass man in der Pflege “den Großteil der Leistungen ausgeweitet und flexibilisiert und einen völlig neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff geschaffen” habe. Auch solle ein “Pflegevorsorgefonds” die Babyboomer-Generation abfedern. Das klingt doch gut, oder?

Zimmermann Herr Laumann hat leider nicht erklärt, wer den neuen Pflegebegriff umsetzen soll. Denn mehr Pflegepersonal sehen die Pflegestärkungsgesetze nicht vor. Der neue Pflegebegriff wird so zum Aushängeschild hinter dem sich nichts verändern kann. Der Pflegevorsorgefond macht, ehrlich gesagt, gar keinen Sinn. Hier soll Geld für schlechtere Zeiten angelegt werden, in der derzeitigen Zinslage kostet der Fond aber sogar Negativzinsen.

Außerdem wäre es viel wichtiger, jetzt in Strukturen und Konzepte zu investieren, die in 20 Jahren eine tragfähige Versorgung von älteren Menschen sicherstellen. Und dazu gehört auch, die Pflegekräfte bis dahin gut auszubilden und den Beruf so attraktiv zu machen, dass mehr Menschen ihn ausüben wollen und können. DIE LINKE fordert, den Pflegevorsorgefond in einen Pflegepersonalfond umzuwandeln, um damit sofort 40.000 tariflich bezahlte Pflegestellen zu finanzieren.

Herbsterwachen: Die Pflegeversicherung arbeitet – entgegen landläufiger Einschätzungen – nur mit Zuschüssen. Macht es da nicht Sinn, die Pflegeversicherungsbeiträge für alle zu erhöhen, um mit den Mehreinnahmen auch umfassendere Leistungen finanzieren zu können?

Zimmermann Unsere Idee geht da weiter. DIE LINKE fordert eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle Menschen gleichermaßen einen bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens einzahlen. Zurzeit ist es ja so, dass diejenigen, die sehr viel verdienen, einen viel kleineren Prozentsatz ihres Einkommens bezahlen müssen. Mit unserem Modell würden auch Einkommen aus Kapitalanlagen oder Mieteinnahmen dazu gerechnet. Wir wollen private Krankenversicherungen abschaffen, weil wir eine Zwei-Klassen-Medizin ablehnen.

Schon mit dieser gerechteren Regelung ständen im Jahr mindestens 12,5 Milliarden Euro mehr für die Pflege zur Verfügung. Wir fordern langfristig die Einführung einer Pflegevollversicherung, das heißt, dass die Eigenanteile und Zuzahlungen wegfallen sollen. Man bräuchte also mit unserem Modell gar keine Beitragserhöhungen um bessere Pflege zu finanzieren. Das Geld muss aber gerechter verteilt werden.

Herbsterwachen: Es bestehen seit Jahren Probleme, offene Stelle im Gesundheitsbereich zu besetzen. Warum ist das so? Hat die Branche ein Imageproblem?

Die Pflege hat sicher keinen besonders guten Ruf, dennoch genießen Pflegekräfte ein sehr hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Der schlechte Ruf des Berufes liegt zum großen Teil an den schlechten Arbeitsbedingungen und der geringen Bezahlung. Gerade in der Altenpflege sind die Löhne mitunter so niedrig, dass die Menschen kaum davon leben können. Durch die Privatisierung von Pflegeeinrichtungen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufig nicht einmal mehr durch Tarifverträge vor Lohndumping geschützt.

Die Pflegekräfte bleiben im Durchschnitt nicht länger als 8 Jahre in ihrem Beruf.
Wenn die Arbeitsbedingungen und das Gehalt besser wären, könnten die Pflegekräfte ihren Beruf auch länger ausüben.

Herbsterwachen: Welches Potential bieten denn Umschüler? Oder sind vielleicht auch Gastarbeiter oder Migranten eine Option, um mit dem Personalnotstand umzugehen?

In der Altenpflege arbeiten viele Menschen, die den Beruf erst später für sich gefunden haben. Auch für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, ist der Pflegeberuf eine sichere Chance, im sozialen Bereich Arbeit zu finden. Alle Menschen, die sich für einen Pflegeberuf entscheiden, sollten gut ausgebildet und entsprechend ihrer Fähigkeiten gefördert werden.

Im Ausland gezielt Pflegekräfte für Deutschland abzuwerben halte ich für den falschen Weg. Erstens fehlen die Pflegkräfte dann in den Herkunftsländern, zweitens ist die Gefahr groß, dass die migrantischen Pflegekräfte hier als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden.

Das einzig wirksame Mittel gegen Personalnotstand ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des Gehaltes. Nur wenn sich hier etwas ändert wird es auch wieder mehr Pflegekräfte geben.

Herbsterwachen: Sie sitzen für DIE LINKE im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Welchen Einfluss hat Lobbyismus auf die Arbeit der Parlamentarier?

Zimmermann: Darüber entscheidet jede und jeder Abgeordnete selbst. Natürlich fragen viele Organisationen und auch Wirtschaftsunternehmen nach Gesprächsterminen. Die meisten wissen aber schon, dass man mit uns keine krummen Geschäfte machen kann. DIE LINKE ist die einzige Partei, die keine Großspenden annimmt. Damit sind wir für viele Lobbyisten auch nicht so interessant.

Ich lade von mir aus aber gern Vertreterinnen und Vertreter von sozialen Organisationen und Initiativen in den Bundestag ein, um mich mit ihnen auszutauschen. Auch mit aktiven Pflegerinnen und Pflegern komme ich regelmäßig und gerne ins Gespräch. Das ist für mich ein wichtiger Teil meiner politischen und parlamentarischen Arbeit, damit ich über aktuelle Themen, Entwicklungen und Anliegen informiert bleibe.

Herbsterwachen: Ist Interessenvertretung für einzelne Wirtschaftszweige denn nicht legitim?

Zimmermann Interessenvertretung ist grundsätzlich legitim und auch legal. Nicht legitim sind aber Verabredungen, die dann dem einen oder anderen finanzielle Vorteile bringen. Es besteht die Gefahr, dass die Politik das Allgemeinwohl aus dem Auge verliert, während finanzstarke Interessengruppen mit ihren Sonderanliegen voll zur Geltung kommen. Das widerspricht meiner politischen Einstellung, da mache ich nicht mit.

Herbsterwachen: Als ein großes Problem unserer Zeit wird immer öfter die “Ökonomisierung aller Lebensbereiche” genannt. Lässt sich eine solche Ökonomisierung auch in der Pflege beobachten?

Zimmermann: Die Pflege ist seit Einführung der Pflegeversicherung ganz massiv von Privatisierung und Ökonomisierung betroffen. Alles wird nur noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt. Im Wettbewerb der Pflegeeinrichtungen geht es allerdings nicht um die beste Pflege, sondern um den höchsten Profit. Das geht auf Kosten der Menschen mit Pflegebedarf und ihrer Angehörigen und natürlich zulasten der Pflegekräfte, an denen am besten gespart werden kann.

Wir LINKE stellen uns dagegen. Wir meinen: Gesundheit und Pflege dürfen keine Ware sein. Gerade die Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die solidarisch gelöst werden muss.

Herbsterwachen: Was kann der Einzelne tun, um Einfluss auf die genannten Problemfelder zu nehmen?

Zimmermann: Jede und jeder kann sich im Kleinen und im Großen für seine eigenen und solidarisch auch für die Interessen anderer einsetzen. Das kann man im Heimbeirat genauso gut wie in der Gewerkschaft oder einer Partei machen. Ich finde es wichtig, dass sich Menschen zusammen tun, um miteinander zu überlegen, was für sie gemeinsam wichtig ist. Wir in der Politik können das aufnehmen und unterstützen. Der Impuls für Veränderungen muss von den Menschen kommen.


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