Polypharmazie: Wechselwirkungen zwischen Medikamenten

Polypharmazie

Medikamente für den Blutdruck, Blutverdünner, Schmerz- und Beruhigungsmittel, Stimmungsaufheller, Diabetes-Mittel: Die Liste an Medikamenten, die Senioren durchschnittlich am Tag nehmen, ist mitunter lang. Fachleute verwenden hierbei den Begriff „Polypharmazie“. Dabei sollten vor allem ältere Menschen einiges berücksichtigen, was ihre Medikation angeht.

Der Hauptgrund für die Tendenz der steigenden Tabletteneinnahme in höherem Alter ist die deutliche Zunahme chronischer Erkrankungen ab dem 60. Lebensalter. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dabei festgelegt, dass von Polypharmazie gesprochen werden kann, wenn vier und mehr verschreibungspflichtige Arzneistoffe täglich eingenommen werden. Doch vor allem dann, wenn viele chemische Präparate im Spiel sind, sollte man Vorsicht walten lassen. Denn haben Sie sich schon einmal überlegt, ob manche der Phänomene, die Sie bislang als normale Alterserscheinungen abgetan haben, Begleiterscheinungen von Medikamenten sein könnten?

Gefährliche Wechselwirkungen

Zum einen können verschiedene Arzneimittel Wechselwirkungen miteinander aufweisen. Deswegen ist es wichtig, dass die verschiedenen Ärzte, die beteiligt sind, darüber informiert sind, was der jeweils andere verschrieben hat. Zumindest aber sollte der Hausarzt einen Überblick über alle Medikamente haben. Eventuell lassen sich manche Arzneimittel gegen andere austauschen, so dass die Gefahr von Wechselwirkungen weniger gegeben ist. Benennen Sie dabei auch rezeptfreie Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel, die Sie regelmäßig einnehmen. Johanniskraut etwa ist zwar ein pflanzliches Arzneimittel und in niedriger Dosierung ohne Rezept erhältlich, allerdings nicht harmlos. Es kann zum Beispiel zu vermehrter Müdigkeit, Hautirritationen und verstärkter Lichtempfindlichkeit führen und weist zudem Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten wie chemischen Stimmungsaufhellern (Antidepressiva) auf. Auch hier gilt: Keine Wirkung ohne Nebenwirkung.

Es existieren Statistiken, die belegen, dass bis zu 30 Prozent aller Klinikeinweisungen bei Senioren auf Wechselwirkungen von ungünstigen Arzneistoff-Kombinationen zurückzuführen sind. Deswegen ist es ratsam, zusammen mit dem Hausarzt einen allgemeinen Medikationsplan zu erstellen und diesen kritisch zu betrachten.

Zum anderen sind manche Präparate für Senioren weniger geeignet, da mit dem Alter die Funktion der Entgiftungsorgane wie Leber und Nieren langsam nachlässt. Das bedeutet, dass bestimmte Arzneimittel weniger gut ausgeschieden werden und deswegen länger im Körper verbleiben. Das „Bundesministerium für Bildung und Forschung“ hat diesbezüglich eine sehr hilfreiche Aufklärungsbroschüre herausgegeben, in der die wichtigsten Substanzgruppen besprochen und für Senioren ungeeignete Medikamente benannt werden. Die leserfreundlich gestaltete Broschüre ist unter https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Medikamente_im_Alter.pdf abrufbar. Hintergrund ist, dass das Ministerium in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern eine Liste erstellt hat, die sogenannte PRISCUS-Liste, in der aufgeführt wird, welche Medikamente für ältere Menschen generell problematisch und was mögliche Alternativen sind. Die Broschüre vermittelt einen guten Zugang zur PRISCUS-Liste und sollte auf jeden Fall mit dem Hausarzt besprochen werden.

Grundsätzlich sollte immer wieder mit dem Hausarzt zusammen hinterfragt werden, ob die aktuelle Medikation noch angebracht ist. Regelmäßig auf den Prüfstand gehören dabei vor allem Schmerzmittel und Beruhigungsmittel vom Benzodiazepin-Typ (zum Beispiel Diazepam, Lorazepam/Tavor etc.) oder sogenannte Z-Drugs wie Zopiclon und Zolpidem. Von Benzodiazepinen weiß man inzwischen, dass Senioren sie schlechter und langsamer abbauen. Die Folgen können – müssen aber nicht – vermehrte Stürze, Verwirrtheitszustände und zunehmende Gedächtnislücken sein. Wenn auf diese Medikamente nicht verzichtet werden kann, ist es eventuell angebracht, auf kürzer wirksame Präparate umzustellen, die keinen Überhang am nächsten Tag verursachen, oder die Dosis zu reduzieren.

Auch andere neuropsychiatrische Medikamente wie Neuroleptika (Antipsychotika), die zum Teil auch zur Beruhigung eingesetzt werden, gehören hinterfragt, da sie die Sterblichkeit erhöhen können. Wenn möglich, sollten Senioren nur kurzfristig Neuroleptika einnehmen. Es kommt durchaus vor, dass bestimmte neuropsychiatrische Medikamente zu Nebenwirkungen führen, die bei vorschneller Betrachtung zum Beispiel an eine beginnende Demenz denken lassen. Werden die Präparate jedoch auf besser verträgliche umgestellt, verschwinden diese Begleiterscheinungen wieder.

Falsche Dosierung

Andere Probleme können entstehen, wenn Medikamente nicht zum richtigen Zeitpunkt oder in der richtigen Dosierung eingenommen werden. Vor allem wenn mit dem Alter das Gedächtnis nachlässt, können sich manche Senioren zum Teil nicht mehr erinnern, ob sie ein Präparat schon eingenommen haben oder dies noch nachholen sollten. Bei bestimmten Arzneimitteln kann aber eine versehentliche doppelte Dosierung Folgen haben. Dies gilt etwa für Blutdruckmittel, da es dann zu Kreislaufproblemen kommen kann.

Ein einfacher, aber wirksamer Tipp ist in solchen Fällen eine wöchentliche Tablettenbox mit einzelnen Fenstern für die Tageszeiten. Solche Tablettenboxen gibt es für wenige Euro in jeder Apotheke zu kaufen. Auf diese Art hat man auch einen guten Überblick, welche Medikamente noch ausreichend vorrätig sind und für welche ein neues Rezept eingelöst werden sollte.

Viele Menschen wissen außerdem nicht, dass Arzneimittel einen Einfluss auf den Vitamin-Status oder den Salzhaushalt des Körpers haben können. Sehr verbreitet ist in Mittel- und Nordeuropa zum Beispiel Vitamin D-Mangel, vor allem in den Herbst- und Wintermonaten. Vitamin D produziert der Körper durch die Aufnahme von Sonnenlicht über die Haut, die Aufnahme über die Nahrung spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Vitamin D hat zum Beispiel einen Einfluss auf unsere Stimmungslage, weswegen viele Menschen zum bekannten „Herbstblues“ neigen, wenn die Tage kälter und kürzer werden. Chemische Präparate können einen Einfluss auf die Resorption von Sonnenlicht durch die Haut haben, so dass ein unerkannter, chronischer Vitamin D-Mangel die Folge sein kann. Falls ein Vitamin D-Mangel entdeckt wird, lässt sich dieser relativ leicht durch entsprechende Tropfen oder Tabletten aus der Apotheke beheben. Andere Phänomene, die für gewöhnlich auf das Alter zurückgeführt werden, können aber auch mit einem Mangel an Vitamin B12 zusammenhängen, das unter anderem eine wichtige Funktion für das Nervensystem aufweist. Lassen Sie deswegen in regelmäßigen Abständen Ihren Vitamin-Status überprüfen. Allerdings ist dies kostenpflichtig. Ein Nährstoffmangel lässt sich in der Regel auch durch eine frische Mischkost mit regelmäßigen Portionen Obst und Gemüse, eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr in Form von Mineralwasser oder ungesüßten Kräutertees (mindestens zwei Liter täglich) sowie Bewegung an der frischen Luft ausgleichen.

Anlaufstellen bei Polypharmazie-Verdacht

Eine gute Anlaufstelle für eine erste Beratung bezüglich der eigenen Medikation ist ein kompetenter Apotheker oder eine kompetente Apothekerin. Apotheker können zwar keine Medikamente verordnen, jedoch können sie häufig Auskunft über mögliche Wechselwirkungen geben. Außerdem ist vielen Menschen nicht bekannt, dass es sehr wohl auch auf die Reihenfolge ankommt, in der Medikamente eingenommen werden. Während manche direkt nach dem Aufwachen angezeigt sind, sollten andere besser mit einem deutlichen zeitlichen Abstand nach dem Frühstück mit einem großen Glas Wasser heruntergespült werden. Leider wird dieser Umstand auch in Kliniken häufig nicht berücksichtigt, sondern die Medikamentengabe nur in morgens, mittags und abends unterteilt. Was der beste Zeitpunkt für die Einnahme einzelner Arzneimittel ist, darüber können Apotheker aufklären. Hier können Sie auch ansprechen, wenn Sie unter diffusen Symptomen leiden, die möglicherweise auf die Medikation zurückführen sind. Am besten Sie suchen sich dabei ein günstiges Zeitfenster für das Beratungsgespräch (zum Beispiel wenn die Apotheke nicht zu voll ist) und lassen sich vom Fachmann bzw. der Fachfrau gezielt aufklären.

Bedenken Sie stets, dass eine Industrie hinter der Medikamentenproduktion steht und diese Industrie fortlaufend Gewinne einfahren möchte. Wechselwirkungen zwischen Medikamenten werden bisher nur wenig getestet, weil Forschungserkenntnisse womöglich keine Vorteile für die Industrie bergen würden. Diese Zusammenhänge sollten Sie stets bedenken und ihren gesunden Menschenverstand nicht vernachlässigen. Sprechen Sie mit fachkundigen Personen über Ihre Medikamentenzusammensetzung und erwägen Sie ggfs. Alternativen.

Über die Autorin

BabicMarijana Babic ist Literaturwissenschaftlerin und Historikerin. Nach einigen Jahren im Verkauf hat sie sich nach Abschluss ihres Magister-Studiums 2006 als Journalistin, Texterin und Lektorin selbstständig gemacht. Schwerpunkte dabei sind Soziales, Psychologie und Psychopharmakologie. Eine neue Website befindet sich derzeit noch im Aufbau.

Marijana Babic
Heinrich-Fuchs-Straße 120
69126 Heidelberg
E-Mail: marijana.babic@outlook.de
Telefon: 06221 433 5307


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Die Kommentare und Meinungen unserer Leser (Leserbriefe)

  1. Köstler kommentierte am 12. November 2021 at 13:27

    Medikamente Nemen
    die Ärtzte Kümmern
    Sich Schon Trum

  2. GBG kommentierte am 24. Juni 2019 at 15:30

    Es ist klar, dass die Ärzte unmöglich die “Rote Liste” beherrschen können. Genauso unmöglich ist, dass die Apotheker sich das Geschäft vermasseln, indem sie die Wechselwirkungen prüfen und die Patienten aufklären. Die Pharmaindustrie hat durchgesetzt, dass sich kein Patient mehr umfassend über etwaige Probleme informieren kann, weil das nur noch die Ärzte dürfen – wenn sie wollen! Das ist das Verschulden aller Gesundheitspolitiker der letzten 20 Jahre! – Die Politiker versagen hier und in allen Sozialbereichen!

  3. Petra Kober kommentierte am 10. Juni 2019 at 10:24

    Im Fall meiner 93jährigen Mutter ermittelt der Staatsanwalt, weil der Hausarzt sie mit der Wechselwirkung zwischen einem bei einer einfachen Blasenentzündung nicht indizierten Antibiotikums: Moxifloxacin und einem dazu gezielt eingesetztem Mittel gegen Übelkeit, damit sie das Antibiotikum nicht erbricht: Domperidon, aus Verärgerung über einen Hausbesuch wegen einer “Lappalie” Zusammenbruch bei Rezidiv und um einen vorangegangenen Behandlungsfehler zu verdecken, psychisch extrem quälte und innerhalb weniger Tage in akute Lebensgefahr brachte: Zitat eines Klinikarztes: 3 Tabletten Moxifloxacin – Der Tod hat 3 Schuss – Ihre Mutter eine Chance!

  4. Hans Schneider kommentierte am 8. April 2019 at 18:00

    meine Parterin (72 Jahre nimmt täglich 13 verschiedene Medikamente.
    Gibt es irgendwo ein Institut, das kostenplichtig eine Wechselwirkungs-Analyse durchführt und Vorschläge für eine Änderung macht?
    Für Infos wäre ich dankbar!

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